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Diktiergeräte, Smartphones, Äpfel, Birnen und Experten

Na bitte: Unser seit Jahren auf dieser Seite gehegtes Thema – die digitale Sprachverarbeitung – endlich wieder einmal reichweitenverstärkt! Fast kommt es uns vor als würde allein Dr. Spehr von der FAZ das Thema der Sprachaufzeichnung (und Spracherkennung) mit digitalem Equipment für wichtig halten. Wie machtvoll es sich im richtigen Leben mittels sprachgesteuerter Gerätschaften offenbart, scheint keiner ausdrücklichen Aufmerksamkeit wert. Entbehrlich gewordene Arbeitsplätze für einfache Schreibarbeiten, unerschöpfliche Archive für Tonaufnahmen und seelenlos antwortende Dialogsysteme finden kaum Interesse.

Am 11.08.2016 widmete der WDR in der Sendereihe Leonardo mit den „Tonaufnahmen mit dem Smartphone“ einem Teilbereich unseres Themas 7:43 Minuten. Eine Woche später wärmte man es mit einem Artikelchen auf. Eigentlich ganz interessant, was uns Michael Stein da erzählt. Dem Titel entsprechend, dass man sein Smartphone zur Tonaufnahme nutzen kann. Mit verschiedenen Mikrofonen, die sich entsprechend der Aufnahmegegebenheiten funktional unterscheiden und ggf. mit Adaptern zu verwenden sind, erweitere man es für bessere Ergebnisse.

Würden die hilfreichen Details sich nur nicht mit Allgemeinplätzen paaren, welche die Informationen letztlich ad absurdum führen und zu einem Unterhaltungsschnipsel machen. Aus einem Smartphone wird kein „professioneller Audio-Rekorder“ – weder durch ein hochwertiges Mikrofon noch durch eine App. Da steht – um es einmal polemisch zu sagen – die Studiotechnik des WDR vor.

Die Aussage „Wer ein Smartphone hat, braucht weder Diktiergerät noch Audio-Rekorder„, die wenig später in der Berliner Morgenpost aus den Beiträgen von Herrn Stein gefiltert wurde, ist nur noch verdrießlich. Journalismus besteht ja zunehmend aus den Alternativen, vermeintliche Ausgangstexte 1:1 zu kopieren oder sie zu kopieren und sich die geistige Urheberschaft mittels vermeintlich zum Thema gehörender Einsprengsel aus weiteren Quellen anzueignen. Montage ist alles, als Kit für die Cuts muß manchmal die Meinung von dem herhalten wie es sein könnte, müßte oder sollte.

Im genannten Beitrag vom 29.9.2016 geht auf Grund dieser Strickart alles durcheinander. Im ersten Absatz ist die Verwirrung angelegt; denn mit der Aussage, dass man Gedanken „im Büro und in der Freizeit“ mit einer Sprachaufnahme einfacher festhalten kann, waren Äpfel und Birnen in einen Korb geworfen, der vielleicht ein Diktiergerät sein soll.

Der Bezug zum Diktiergerät ist falsch. Mit einem Diktiergerät kann man zwar Sprachaufnahmen machen, aber dabei handelt es sich üblicherweise um sehr spezielle, die „Diktat“ heißen und normalerweise im Büro oder bspw. in einer Arztpraxis aufgezeichnet werden. Im Falle des Diktats – im Büro – benötigt das Diktiergerät Funktionen, die im Falle einer Sprachaufnahme oder eines Mitschnitts – in der Freizeit – nicht unbedingt erforderlich sind.

Diktieren heißt, jemandem etwas zur Niederschrift vorzusprechen. Wird ein Diktiergerät als Speicher des Diktats benutzt, gewinnen Autor und Schreibkraft zeitliche und räumliche Freiheit. Der Schreibkraft liegt ein, liegen in der Regel: viele vorgefertigte Diktate zur Transkription vor. Damit sie gelingen und der Autor, der üblicherweise einen Text nach dem anderen seriell zu verfertigen hat, optimal unterstützt wird, ist das Diktiergerät als Spezialwerkzeug angelegt.

In den seltensten Fällen wird druckreif diktiert. Deshalb muß zielgenaues Rückspulen, Vorspulen und Übersprechen möglich sein. Ein Schiebeschalter erledigt das vortrefflich, ist er beim Rücklauf doch auch noch mit einer akustischen Positionskontrolle gepaart. Am Smartphone gibt es einen Schiebeschalter nicht. Die Versuche, ihn auf dem Touchscreen zu simulieren sind zum Scheitern verurteilt, weil sie die Aufmerksamkeit vom Diktat auf die Bedienung des Eingabegeräts lenken: Platzierung und Bewegung des Daumens auf einem virtuellen Schiebeschalters müssen visuell kontrolliert werden. Profis diktieren aber blind, was ihr Werkzeug angeht. Sie haben mit ihren Röntgenbildern, der Unfallskizze, dem ALG-Bescheid eines Mandanten und ähnlichen Dokumenten den Kopf voll, vor allem aber mit der Formulierung des daraus zu entwickelnden Diktats. Diese Konzentrationsaufgabe unterstützt ein mechanischer Schiebeschalter mit deutlich spürbaren Einrastpunkten.

Den Vorteil, dass Smartphones „digital und mit riesigem Speicher“ aufzeichnen kann man wirklich nur noch als zeilenfüllende Uminformiertheit bezeichnen. Ein OLYMPUS DS-7000 macht nicht anderes. Mit der Speicherausstattung ab Werk reicht es für 680 Stunden Aufnahme. Verwendet man größere Speicherkarten, kommt man gar auf 9.792 Stunden im Standardplay-Modus. Aber das will kein Anwender. Für die Berufspraxis sind diese Größenvergleiche vollkommen irrelevant.

Ebenso wie die für sich betrachtete Möglichkeit der sofortigen Diktatversendung via Smartphone nicht als Gewinnermerkmal im „Systemvergleich“ mit Diktiergeräten taugt. Abgesehen davon, dass das PHILIPS SpeechAir und das OLYMPUS VoiSquare Diktate ebenso versenden wie ein aufgerüstetes DS-7000 Air: Es kommt auf das Versendete und den Empfänger an. Normalerweise befindet sich auf Empfängerseite nämlich ein Workflow, der mit den Aufzeichnungen umgehen können muß. Im Falle klassischer Diktiergeräte ist dieser Workflow gesichert. Zu versendende Diktate tragen Zuordungsmerkmale, die weit über die Benamung hinausgehen. Darauf fußend, können sie z.B. archiviert, transkribiert oder von Spracherkennungsprogrammen umgesetzt werden. Im Falle der zahlreichen Smartphone-Apps sind solche Funktionalitäten nicht im Fokus. Der Blickwinkel ist aufs Aufzeichnen verengt und die Sendefähigkeit die freundliche Dreingabe von ein paar Zeilen bei der Programmierung. Die Kultur- und Arbeitstechnik des Diktierens ist damit nicht annähernd erfaßt. Nur weil ein Smartphone Sprache aufzeichnen kann, ist es noch lange kein Diktiergerät. Der Vergleich der beiden ist ziemlich unangemessen. Für Fachjournalisten und redselige „IT-Experten“ ist er ein Zeichen der Uninformiertheit.